Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet in zwei Urteilen vom 12. September 2024 (Rechtssachen C-741/22 und C-73/23) zentrale Fragen zur Mehrwertsteuerbefreiung von Glücksspielumsätzen.
Anlass waren Anfragen belgischer Gerichte, die Zweifel an der Europarechtskonformität der belgischen Steuervorschriften hatten.
Dabei stand insbesondere die unterschiedliche Behandlung von terrestrischen und online angebotenen Glücksspielen im Fokus.
In Belgien sind traditionelle Glücksspiele, wie etwa Automatenspiele in Spielhallen, von der Mehrwertsteuer befreit.
Online-Glücksspiele hingegen unterliegen weiterhin der Steuerpflicht. Der EuGH musste daher prüfen, ob diese Ungleichbehandlung im Rahmen der Mehrwertsteuerrichtlinie der Europäischen Union rechtens ist.
Dabei spielte vor allem der steuerliche Neutralitätsgrundsatz eine Rolle.
Die deutsche Generalanwältin Juliane Kokott hatte in ihren Schlussanträgen im April 2024 eine von der bisherigen EuGH-Rechtsprechung abweichende Position vertreten.
Ihrer Auffassung nach könnten sich Glücksspielanbieter nicht unmittelbar auf die Steuerbefreiungsvorschrift des Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i der Mehrwertsteuerrichtlinie berufen.
Dies hatte in Fachkreisen für erheblichen Widerspruch gesorgt, da Kokott damit auch ihre eigene frühere Position infrage stellte.
Kokott argumentierte, dass die Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der steuerlichen Behandlung verschiedener Glücksspielkategorien haben sollten, da die Mehrwertsteuerrichtlinie nur die Befreiung „bestimmter“ Glücksspiele vorschreibe.
Zudem vertrat sie die Ansicht, dass es zulässig sei, Online- und Offline-Glücksspiele steuerlich unterschiedlich zu behandeln, solange beide Kategorien für den Verbraucher nicht offensichtlich austauschbar seien.
Der EuGH folgte jedoch nicht der Argumentation der Generalanwältin. In den beiden Urteilen stellte das Gericht klar, dass sich Glücksspielanbieter weiterhin unmittelbar auf die Steuerbefreiungsvorschriften berufen können.
Zudem betonte der EuGH, dass der steuerliche Neutralitätsgrundsatz auch bei der Besteuerung von Glücksspielen zu beachten sei.
Im Fall C-73/23 entschied der EuGH, dass eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von Online- und Offline-Glücksspielen nur dann zulässig ist, wenn objektive Unterschiede vorliegen, die das Wahlverhalten der Durchschnittsverbraucher signifikant beeinflussen.
Diese Entscheidung könnte Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage haben. Seit dem 1. Juli 2021 unterliegen Online-Automatenspiele in Deutschland einer Mehrwertsteuerbefreiung, während terrestrische Automatenspiele weiterhin besteuert werden. Kritiker argumentieren, dass diese Regelung gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoße.
Deutsche Finanzgerichte müssen nun prüfen, ob die Unterschiede zwischen den beiden Glücksspielkategorien ausreichen, um diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.
Erste Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der deutschen Regelung sind durch das Urteil des EuGHs entstanden. Betreiber terrestrischer Automatenspiele könnten aufgrund dieser neuen Rechtslage die Aussetzung der Umsatzsteuerfestsetzung beantragen.
Ein weiteres brisantes Thema behandelte der EuGH im Fall C-741/22, bei dem es um staatliche Beihilfen ging.
Der Gerichtshof entschied, dass nationale Gerichte unter Umständen verpflichtet sind, Schadensersatzklagen von Unternehmen zuzulassen, die durch rechtswidrige staatliche Beihilfen benachteiligt wurden.
Dies betrifft besonders den deutschen Glücksspielmarkt, da die Europäische Kommission im Juni 2024 festgestellt hatte, dass öffentlichen Spielbanken in Deutschland über Jahre hinweg unzulässige Steuervergünstigungen gewährt wurden.
Betreiber gewerblicher Geldspielautomaten könnten nun auf Grundlage des EuGH-Urteils Schadensersatzklagen gegen den Staat einreichen, um die durch die Wettbewerbsverzerrungen entstandenen finanziellen Einbußen auszugleichen.
Diese Entwicklung könnte weitreichende Folgen für die Glücksspielbranche in Deutschland haben.
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